
Die Tür quietscht, als man sie öffnet – als hätte sie all die Jahrzehnte mitgezählt, die Gäste ein- und ausgehen sahen. Der erste Blick fällt auf eine Theke aus dunklem Holz, auf Stofflampen, die goldenes Licht auf gemusterte Tischdecken werfen, auf Kupferstiche und Dekoteller an den Wänden. Es riecht nach Holz, Geschichte und – wenn man Glück hat – noch ein wenig nach westfälischem Pickert.
Seit über einem Jahr bleibt der Gastraum hier leer. Keine Stimmen, kein Lachen, kein Bratenduft. Die Kultkneipe „Zur Post“ in Enger-Herringhausen hat ihre Türen seit Ende 2023 geschlossen. Und nun steht sie zum Verkauf.
In Enger ist sie die Letzte ihrer Art – ein verbliebenes Relikt aus einer Zeit, in der das Dorfleben noch am Tresen stattfand. Während Traditionslokale wie die „Penne“, der Westfalenhof, Cassing oder zuletzt der „Alte Dorfkrug“ in Besenkamp nach und nach ihre Türen für immer schlossen, hielt sich die „Zur Post“ an der Herforder Straße wacker.
Ein Haus mit Herz und Geschichte
Fast wirkt es, als wolle das Haus selbst noch ein paar letzte Worte sagen, bevor ein neues Kapitel beginnt und zeigt sich im schönsten Mai-Licht. Denn Geschichten gibt es hier mehr als genug. Vermutlich erbaut im Jahr 1870 so steht das rote Backsteinhaus seit fast 150 Jahren an der Herforder Straße. Früher führte hinter dem Hof die Hauptverkehrsader durchs Dorf, Vieh wurde aus Oetinghausen hinaufgetrieben – und wer oben ankam, bekam bei der „Post“ einen Klaren. Daher auch der Name: Das Haus war einst eine Poststelle, durch eine kleine Klappe zahlte man Rente aus, daneben Bäckerei, Kolonialwarenladen, ein Saal mit Bühne, sogar ein kleines Kino, in dem zur Kriegszeit die Wochenschau lief. Die Gaststätte galt damals als SPD-Hochburg – so sehr, dass die SS im Krieg eine Mauer unter dem Saal einriss, um nach versteckten Menschen zu suchen. Die Spuren davon kann man heute noch sehen. Es ist ein Ort, der alles schon einmal war. Nur nicht leer.
„In den 60ern war die „Post“ sowas wie der Go-Park von Herringhausen“, erinnert sich Wirt Frank Kenter zurück. Seit 1961 führt Familie Kenter die „Post“. Ursprünglich waren Hanna und Egon Kenter Schneider, doch als die Aufträge ausblieben, sattelten sie um – und wurden Wirtsleute. Was als einfache Kneipe begann, wurde bald zum vollwertigen Restaurant. Es gab Tanzabende, Zeltfeste, Geflügelausstellungen, fünf Theken gleichzeitig, wenn’s sein musste. Und mittendrin: die Familie Kenter.
Besonders war die Küche – und das lag vor allem an Hanna. Ihre Pickert waren legendär, ein echtes Alleinstellungsmerkmal, weil sie niemand sonst mehr machen wollte. Zu zeitaufwendig. Doch bei der „Post“ wurden die westfälischen Reibekuchen auf gusseisernen Platten gebacken. Ein Essen wie bei Oma, sagen viele. Und genau das war es auch.
Zur „Post“ ging man aber nicht nur wegen des Essens. Man ging, weil man dazugehörte. „Wir gehen zu Hanna“, sagte man früher einfach. Sonntagvormittags gab’s Frühschoppen, später dann Kaffee und Kuchen. Kinder spielten zwischen den Apfelbäumen, Nachbarn kamen auf ein Bier oder ein Wort vorbei. Und wer neu war, wurde herzlich aufgenommen. Hier kannte man sich. Seit Generationen. Die Schanklizenz? Vermutlich älter als manch ein Nachbarhaus.
Frank Kenter – der letzte Wirt
Seit 2014 hat Sohn Frank das Ruder übernommen. Als Werkzeugmacher von Beruf, gab er seinen Job auf, um sich ganz der Wirtschaft zu widmen. Er baute um, installierte eine neue Küche und eine neue Zapfanlage – aber ließ den Charme des Hauses unangetastet. Die Speisekarte war klein, frisch, bodenständig. Schnitzel, Fisch, Schaschlik, manchmal Erbseneintopf.
Auch seine Frau Sara brachte neue Ideen ein. Einmal im Monat gab es persische Abende, dazu Flammlachs auf Buchenholzplanke. Die Gäste kamen gerne, trotz Corona, trotz aller Herausforderungen.
Viele Monate waren Frank Kenter und seine Frau mit der Pflege seiner Mutter Hanna beschäftigt und mussten die Kneipe stilllegen. Doch nach dem Tod seiner Mutter im Februar 2025 fiel Frank Kenter jetzt eine Entscheidung, die ihm schwerfiel: loslassen. Die Wirtschaft, das Lebenswerk, soll in neue Hände. Ganze dreimal hat er zuvor versucht einen Verein zu gründen, um das alte Haus an der Herforder Straße als kulturellen Treffpunkt der Dorfgemeinschaft zu erhalten. Denn alleine, das weiß er, kann und möchte er die Wirtschaft so nicht weiterführen.
Gelegentlich lädt Frank Kenter noch zu privaten Feiern – aber es ist ruhig geworden um die „alte Post“. Zu ruhig für ein Haus, in dem so viele Jahre lang kräftig gefeiert wurde.
Ein Ort voller Möglichkeiten
Das Anwesen selbst ist ein Traum für alle, die Ideen haben: Rund 146 m² Wohnfläche, 250 m² Nutzfläche, ein riesiges Grundstück mit über 6.500 m². Dazu Stallungen, Nebengebäude, ein alter Saal, der schon Bühne, Kino und Werkstatt war. Hühner laufen noch frei herum – und die Bäume hat Frank Kenter alle selbst gepflanzt. Ein Ort, der lebt – auch wenn er gerade Pause macht.
Hier könnte ein neues Kapitel beginnen: ein Hofcafé, ein Ort für Kulturveranstaltungen, vielleicht sogar ein Mehrgenerationenprojekt. Es ist ein Ort mit Charakter, Patina, Seele. Hier kann man etwas bewahren – oder etwas völlig Neues schaffen. Ein Hofcafé? Eine Eventlocation? Eine WG mit Hühnern und Pickertparty am Wochenende? Oder einfach wieder eine Kneipe mit Herz, so wie früher.
„Wenn das Haus erzählen könnte …“, sagt Frank Kenter leise. Und vielleicht tut es das ja bald wieder – mit neuen Stimmen, neuen Ideen und demselben warmen Licht hinter den Scheiben. Die „Post“ sucht jemanden, der nicht nur kaufen, sondern weitertragen will. Einen, der Geschichten liebt. Er selbst möchte nach dem Verkauf der „Post“ mit seiner Frau ein Haus in der Gegend kaufen und von dort aus vielleicht wieder in seinen alten Beruf als Ausbilder gehen.
Kontakt für Interessierte? Den gibt es über das Marklerbüro Wortmann (0176 32033425). Preis? Auf Anfrage. Das Wichtigste? Mut, eine gute Idee – und ein bisschen Respekt vor der Geschichte.
Von Jana Göb