
Montag, 17 Uhr, vor dem Rathaus. Eine schlichte Übergabe – und doch steckt viel Symbolik darin: Der BUND hat seine Petition mit 991 Unterschriften an Bürgermeister Thomas Meyer überreicht. 630 Engeranerinnen und Engeraner haben unterzeichnet, genug, um das Ganze zu einem offiziellen Bürgerantrag zu machen. Und dahinter steht eine Frage, die viele bewegt: Wie grün soll Enger in Zukunft sein?
Michael Alff vom BUND erzählt, wie er in den letzten Wochen von Haus zu Haus ging, klingelte, erklärte, sammelte. „Manchmal gab es heftige Reaktionen“, sagt er. Vor allem ältere Menschen hätten betont, wie sehr ihnen die alten Bäume ans Herz gewachsen seien. „Die großen Bäume prägen unser Stadtbild. Dünne Setzlinge können das erst in Jahrzehnten ersetzen.“
Mit der Petition will der BUND zwar die aktuellen Fällungen im Zuge der Innenstadtumgestaltung nicht mehr verhindern – „das geht nicht mehr“, sagt Sprecher Bernd Meier – aber ein Signal setzen: „In Zukunft bitte sensibler, bitte mit mehr Mühe und mit Alternativen.“
Was hinter dem Streit um die Bäume steckt
Das umstrittene Kürzel ISEK taucht seit Monaten in Diskussionen um die Bäume der Innenstadt auf. Es steht für Integriertes Stadtentwicklungskonzept. Dahinter verbirgt sich nichts weniger als ein Großprojekt: Engers Innenstadt soll moderner, barrierefreier, verkehrsärmer – und attraktiver werden. Neue Plätze, mehr Aufenthaltsqualität, eine veränderte Tiefgarageneinfahrt, größere Baumbeete, mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer.
Doch: Für viele dieser Ideen müssen alte Bäume weichen. Insgesamt 27 Bäume sind von den Plänen betroffen, 19 neue sollen gepflanzt werden. Für die Aktivisten ein Missverhältnis, das das Stadtklima weiter belaste. Die Stadt verweist auf bessere Bedingungen für die jungen Bäume: mehr Wurzelraum, bessere Wasserversorgung, langfristig also gesünder und stabiler. Aber für die Menschen, die seit Jahrzehnten im Schatten der alten Kronen laufen, wiegt der Verlust schwer.
Schon im Februar hatte es ersten Protest gegeben: Rund 25 Umweltschützerinnen und Umweltschützer versammelten sich spontan am Haus der Kulturen. Ohne Plakate oder Ankündigung, dafür mit weißen Kreuzen an den Bäumen und klaren Worten. „Die Klimakrise ist real – und da können wir es uns nicht leisten, gesunde Bäume zu fällen“, erklärte damals BUND-Sprecher Bernd Meier. Sein Stellvertreter Holger Stoppenkotte kritisierte, dass es am politischen Willen fehle, mehr Grün in die Stadt zu bringen.
Zwischen Ratsbeschluss und Bürgerstimme
Der Stadtrat hat sich in einer Sitzung vor der Petition eine Stunde lang mit den BUND-Argumenten beschäftigt. SPD-Ratsherr Guido Libuda-Franke spricht von „einem guten Austausch“. Harald Wurm von den Grünen betont, dass man „noch nie so gründlich informiert“ gewesen sei wie bei der Innenstadtsanierung. Auch Gutachten zu den Bäumen wurden eingeholt.
Gesine Brandtmann ergänzt: „Nicht alle gefällten Bäume hätten überhaupt eine Zukunft gehabt, deshalb darf man nicht davon ausgehen, dass jeder Baum wirklich für ISEK gefällt wurde.“ Und die Grünen erklären: Für jeden Baum gebe es Ersatz – und langfristig mehr Grün, weniger Versiegelung und ein besseres Stadtklima. „Kurzfristig sieht es kahler aus, langfristig profitieren wir“, lautet die Argumentation.
Zwischen Wurzeln und Visionen
Bürgermeister Meyer sieht die Petition als wichtigen Impuls. „Viele Menschen haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt und identifiziert. Es geht nicht nur um einzelne Bäume, sondern um das Thema an sich.“ Im kommenden Ausschuss wird die Petition nun diskutiert.
Und vielleicht zeigt sich gerade an dieser Debatte, wie schwierig Stadtentwicklung ist: Auf der einen Seite die Sehnsucht nach Bewährtem, nach vertrauten, schattigen Plätzen. Auf der anderen Seite die Notwendigkeit, Flächen neu zu ordnen, Klimaschutz, Verkehrswende und Fördermittel miteinander in Einklang zu bringen. „Man darf nicht vergessen: Wir haben im Stadtrat jede Woche viele Entscheidungen zu treffen, dabei machen wir das alles neben unserem Hauptberuf“, erklärt Giudo Libuda-Franke. So sei es für den Rat wichtig, auf die angebrachten Gutachten der Experten zu vertrauen.
Dass dabei Emotionen hochkochen, ist nachvollziehbar. Denn Bäume sind eben mehr als Biomasse: Sie sind Erinnerungen, Nachbarschaftstreffpunkte, Schattenspender. Oder, wie es ein älterer Bürger beim Sammeln der Unterschriften formulierte: „Ohne die großen Bäume fühlt sich die Stadt einfach nackter an.“