Inklusion heißt, dass es ist normal verschieden zu sein. Wenn Musik mehr ist als Klang – Benefizkonzert in der Stiftskirche Enger schenkt Kraft, Gemeinschaft und Gänsehaut

Es war still – bevor es laut wurde. Still im besten Sinne: erwartungsvoll, gesammelt, tief atmend. Die Stiftskirche in Enger war bis auf den letzten Platz gefüllt, als am Sonntagabend das Blechbläserensemble der Nordwestdeutschen Philharmonie den ersten Ton anstimmte. Und mit diesem Ton begann mehr als nur ein Konzert. Es war das 71. Konzert der Nordwestdeutschen Philharmonie in diesem Jahr – und doch eines, das lange in Erinnerung bleiben dürfte.
„Eine Stunde Veredelung lauwarmer Atemluft“ – so nannte es Felix Hirn von der Nordwestdeutschen Philharmonie in seiner Begrüßung. Eine Stunde, in der Sorgen draußen bleiben durften. Eine Stunde, die sich ganz der Musik, der Gemeinschaft und der stillen Anerkennung widmete.
Denn das Konzert war kein gewöhnliches. Eingeladen hatte das regionale Netzwerk „Kraftquellen in der Demenz“. Es richtete sich an Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen und all jene, die im Alltag oft im Hintergrund wirken: Pflegende Familienmitglieder, Freundinnen, Nachbarn, Pflegekräfte. Menschen, die täglich leisten, stützen, begleiten – oft ohne Applaus.
„Pflege ist eine stille Leistung, die nicht hoch genug bewertet werden kann“, sagte Günther Niermann vom Generationentreff Enger, der das Konzert gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde, der Volksbank und der Philharmonie möglich machte. Er las aus einem Brief vor, den er von einer Tochter erhalten hatte. Ihre Mutter war beim letzten Konzert dabei, bereits mit fortgeschrittener Demenz. „Schon beim Anschnallen wusste sie nicht mehr, dass wir gemeinsam ein Konzert besuchen. Aber als sie in die Kirche ging, war sie plötzlich voller Vorfreude.“ Es sei schwer, Nischen zu finden, um schöne Dinge mit ihrer Mutter zu erleben – ohne ständige Erklärungen, ohne Sorge, was passieren könnte. Doch an diesem Abend durfte auch die Tochter einfach nur da sein. Nur hören. Nur fühlen.
Und was für Musik sie hören durfte: Die Programmgestaltung reichte von Bach bis zum Hobbit-Theme, von bearbeiteten Werken über Kammermusik bis zu Volksliedern wie „Kein schöner Land“ oder dem „Engelswalzer“. Ein Repertoire, das Brücken baute – zwischen Generationen, zwischen Erinnerung und Gegenwart. Die Kirche wurde zum Resonanzraum für all das, was Worte nicht sagen können.
„Das Herz wird nie dement“, sagte Niermann. Und selten war ein Satz so wahr wie in dem Moment, als das Ensemble zur Zugabe ansetzte: „Der Mond ist aufgegangen“. Der gesamte Kirchraum sang mit. Ein Gänsehautmoment – nicht nur für die Ohren, sondern für das Herz.
Das Konzert war Teil einer Reihe des Netzwerks „Kraftquellen in der Demenz“, das sich dafür einsetzt, kulturelle Teilhabe auch für Menschen zu ermöglichen, die sonst wenig Zugang dazu haben. Es war eine stille Geste mit großer Wirkung. Ein Abend für die, die sonst immer zuerst an andere denken. Und ein Beweis dafür, dass Musik mehr kann als unterhalten. Sie kann verbinden. Und tragen.
Einfach mal nur da sein dürfen. Einfach mal nur hören. Einfach mal nur Mensch sein. Dafür braucht es manchmal nicht mehr als eine Kirche, ein Ensemble – und ganz viel Engagement.
Von Jana Göb