
Während in Berlin am Freitagnachmittag der Bundestag über das neue Wehrdienstgesetz abstimmte, begann in Enger der politische Diskurs bereits mit der ersten Schulglocke. Zwei volle Runden – erst die Oberstufe, danach die Jahrgänge 9 und 10 – verfolgten aufmerksam die kurzfristig organisierte Podiumsdiskussion der Schülervertretung am Widukind-Gymnasium. Auf der Bühne: Irmgard Pehle von der Deutschen Friedensgesellschaft und Mitglied des Kreistags für die Grünen, sowie Philip Kleineberg, stellvertretender Bürgermeister und CDU-Politiker. Moderiert wurde das Gespräch von den beiden SV-Mitgliedern Ben Wittenborn und Josefine Hansen, die die Diskussion bemerkenswert ruhig, präzise und mit spürbarem Respekt durch den Vormittag führten.
Nur Stunden später verabschiedete der Bundestag das umstrittene Gesetz, das alle Männer ab Jahrgang 2008 wieder verpflichtend zur Musterung vorsieht. Die Entscheidung für den Dienst bleibt zunächst freiwillig – doch der Weg zu möglichen verpflichtenden Einberufungen ist mit dem Gesetz geebnet. Eine Nachricht, die im Schulalltag an diesem Morgen bereits spürbar mitschwang.

„Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit“, eröffnete Irmgard Pehle, und für einen Moment war es völlig still in der Aula. „Wir müssen dafür sorgen, dass es gar nicht erst zum Krieg kommt – wir brauchen eine friedliche Weltgestaltung.“ Sie sprach langsam, eindringlich und mit dem Ernst einer Frau, die viele Jahrzehnte politische Bildung hinter sich hat.
Philip Kleineberg antwortete sachlich: „Die Wehrdienstleistenden werden nicht in den Krieg geschickt“, betonte er. „Sie sind wichtig, um im Fall eines Angriffs die Infrastruktur aufrechtzuerhalten.“ Deutschland sei ein zentraler Pfeiler der NATO, und er fügte hinzu: „Wer das nicht machen möchte, muss das nicht tun. Aber irgendjemand muss es tun.“
Die Schüler reagierten aufmerksam. Als die Moderatoren fragten, wer sich freiwillig für den Bund melden würde, streckten in beiden Durchgängen – jeweils vor voll besetzter Aula – nicht mehr als zehn Jugendliche die Hand.
Pehle warnte davor, die Freiwilligkeit zu überschätzen. „Wenn der Kriegsdienst verweigert wird, entscheidet eine Behörde darüber, ob diese Verweigerung anerkannt wird. Am Ende ist es also keine völlig freie Wahl“, sagte sie. Und dann, scharf wie ein Schnitt: „Nur solange sich genug Freiwillige finden.“
Kleineberg versuchte, dem Wehrdienst ein anderes Gesicht zu geben: „Die Bundeswehr ist ein attraktiver Arbeitgeber. Man kann sie auch als Chance begreifen.“ Man sammle Erfahrungen, „die man sonst nirgendwo macht“, treffe Menschen aus anderen Lebensrealitäten – und könne sich beruflich entwickeln. „Viele Menschen werden bestätigen: Der Wehrdienst hat noch niemanden geschadet.“ Pehle hielt dagegen: Diese Chancen gebe es genauso in einem Freiwilligen Sozialen Jahr oder im Bundesfreiwilligendienst – nur müssten diese endlich finanziell auf Augenhöhe gebracht werden. „2.600 Euro – mindestens genauso viel wie für den Dienst bei der Bundeswehr“, sagte sie.
Die Diskussion blieb kontrovers, aber respektvoll. Kleineberg brachte die sicherheitspolitische Perspektive noch einmal scharf auf den Punkt: „Der Gratis-Frieden ist vorbei. Die USA werden sich nicht mehr um unsere Sicherheit kümmern. Wir können uns alle Frieden wünschen – aber Putin wird nicht nach Hause gehen, nur weil wir uns das wünschen.“ Sein Appell folgte ohne rhetorische Schnörkel: „Wir brauchen eine starke Bundeswehr, damit sich niemand traut, uns anzugreifen.“
Pehle widersprach vehement: „Aufrüstung kann nicht die Lösung sein. Wir haben nicht einmal die finanziellen Mittel, den innenpolitischen Frieden zu sichern.“
Zwischen diesen klaren Positionen fanden auch die Schüler ihre Stimme. Eine Publikumsfrage hallte besonders nach: „Wenn man etwas erreichen will, dann geht man nicht zur Bundeswehr.“ Kleineberg griff das auf, indem er an die demokratischen Errungenschaften erinnerte: „Die Freiheit, an Demonstrationen teilzunehmen, wurde hart erkämpft. Das müssen wir uns erhalten.“ Zudem sprach er sich gegen eine geschlechtsneutrale Wehrpflicht aus und begründete dies mit Blick auf gesellschaftliche Realität: „Frauen leisten bereits einen höheren Beitrag für die Gesellschaft durch Sorge- und Carearbeit.“

Am Ende stand nicht nur ein politisch aufgeladener Vormittag, sondern auch eine unmittelbare Reaktion. Dreizehn Schülerinnen und Schüler entschieden im Anschluss zu demonstrieren. Rund 300 Menschen seien laut Polizei angemeldet gewesen, ehe die Einsatzkräfte wieder abrückten. Mit selbstgestalteten Bannern zogen die Jugendlichen anschließend durch Enger.
Was bleibt, ist ein Vormittag, der die Jugendlichen sichtbar beschäftigt hat. Und ein Land, das wenige Stunden später ein Gesetz beschlossen hat, das ihre Zukunft unmittelbar betreffen wird.
Von Jana Göb
