
An diesem Augustabend hat Enger sich in eine kleine argentinische Piazza verwandelt – nur eben mit Kopfsteinpflaster, alten Eichen und dem vertrauten Blick auf die Stiftskirche. Die Luft ist warm, das Licht golden, und zwischen den Stämmen der Bäume glitzern kleine Lichterketten. Vor der Kulisse der Stiftskirche dreht sich alles um eines: Tango.
Schon am Nachmittag hat sich der Platz gefüllt. Eine hölzerne Tanzfläche wurde aufgebaut, ringsum stehen gemütlicheTische, auf denen Gläser mit Rotwein funkeln und Teller mit Tapas bereitstehen. 15 Euro kostet der Eintritt – dafür bekommt man nicht nur Musik, sondern auch eine Reise ans andere Ende der Welt. „Es kommen Besucher aus ganz Deutschland, sogar aus Kanada waren schon Tänzer zu Gast“, erzählt Ingrid Rothschild und strahlt, als hätte sie gerade eine lange vermisste Freundin am Flughafen abgeholt.
Drei Tage lang gibt es außerdem einen Workshops für Einsteiger und Fortgeschrittene. Doch der Freitagabend ist das Highlight – die große Milonga unter freiem Himmel. Auf der Tanzfläche treffen Profis, Anfänger und neugierige „Nur-mal-gucken“-Besucher aufeinander. Man erkennt sie nicht unbedingt an den Schritten, sondern an den Blicken: „Um jemanden zum Tanzen aufzufordern, schaut man sich intensiv aus der Entfernung an“, erklärt Iris Vangermain-Freitag. „Deshalb stehen die Tische um die Tanzfläche – so kann man sowohl Signale senden als auch charmant einen Korb verteilen.“

Der Tanz selbst folgt eigenen, ungeschriebenen Regeln. Es gilt das Rechtsfahrgebot, getanzt wird im Kreis, Überholen ist unfein. „Führen und folgen – doch wenn es passt, führt keiner“, sagt Iris und lächelt. Wer Tango tanzt, weiß: Es geht hier nicht ums Flirten. „Das ist kein Datingportal“, sagt sie, „es ist eine gemeinsame Sprache ohne Worte.“
Die Gastgeber des Abends sind der Freundeskreis „El Tranvia“ – spanisch für „Straßenbahn“ oder „Kleinbahn“. Passend, denn hier nahm alles vor vielen Jahren im Umfeld des Kleinbahnmuseums seinen Anfang. Die Gruppe pflegt vor allem den Argentinischen Tango, „weil er keinen starren Regeln unterliegt und uns am meisten Freude bereitet“, erklärt Rothschild. Teilnehmer kommen aus ganz OWL, manchmal sogar aus anderen Bundesländern. „Tango ist eine Leidenschaft, für die man bereit ist, weite Wege zu fahren.
Als die Sonne untergeht, wird es besonders schön. Die Musik weht durch die Bäume, die Tanzenden bewegen sich wie in Zeitlupe im warmen Schein der Lichter. Man hört das Knirschen der Schuhe auf dem Holz, das leise Knistern der Tapas-Schälchen, manchmal ein Lachen. Und man versteht, warum manche dafür sogar aus Kanada anreisen.