Lieblingsstücke schließt – Ein leiser Abschied mit starken Worten

Foto: Jana Göb

Der Duft von frisch gewaschener Wolle, das sanfte Klappern von Stricknadeln, Gespräche über Maschenzahlen und Muster. All das wird bald Geschichte sein. Mechthild Rohlf, die gute Seele hinter dem Geschäft „Lieblingsstücke“, zieht nach 17 Jahren Selbstständigkeit einen Schlussstrich – und mit ihr verschwindet nicht nur ein Laden, sondern ein Stück gelebte Innenstadt.

Wer durch die Steinstraße bummelt, hat es längst gesehen: Im Schaufenster von „Lieblingsstücke“ kündigt ein Schild den Räumungsverkauf an. „Das fällt mir alles nicht leicht“, sagt Mechthild Rohlf. Man glaubt ihr jedes Wort. Denn wer einmal bei ihr im Laden war, weiß: Hier ging es nie nur ums Verkaufen. Hier ging es um Herzblut, um Wolle und um das, was der Name verspricht: um Lieblingsstücke.

Kein Abschied wegen des Alters

„Es liegt nicht an meinem Alter“, stellt die 80-jährige Inhaberin gleich klar. Und wer sie erlebt, wie sie zwischen Regalen und Garnen mit blitzendem Blick Ordnung schafft, der weiß, dass ihr Rentenalter kein Grund für sie für die Ladenaufgabe ist. Vielmehr sind es zwei Entwicklungen, die sie zur Geschäftsaufgabe zwingen: Zum einen die Baustelle, die im Rahmen des ISEK-Projekts direkt vor ihrer Tür geplant ist. Zum anderen ein wachsender Konsumverzicht, der vor allem den Textileinzelhandel hart trifft.

„Baustellen töten den Einzelhandel“, sagt sie. Ein Satz, den viele Engeraner Einzelhändler vermutlich unterschreiben würden. Schon jetzt sei es schwierig mit den Parkplätzen. Für ihre überwiegend ältere Kundschaft sei das Erreichen des Ladens bald nahezu unmöglich. „Ich habe viele Kundinnen, die mit Rollator oder Auto kommen – das wird dann einfach zu beschwerlich“, so Rohlf, die selbst über dem Laden wohnt. Und schließlich sei auch die wirtschaftliche Lage nicht besser geworden: „Seit Herbst geht es bergab. Früher hat das Weihnachtsgeschäft vieles gerettet – diesmal nicht.“

Von der Verkäuferin zur Unternehmerin

Der Weg in die Selbstständigkeit war für Mechthild Rohlf alles andere als vorgezeichnet. Als das damalige Geschäft Böckstiegel schließen sollte – heute beherbergt es den Spielzeugladen „Memories“ – griff sie beherzt zu. „Ich sah meinen Rentenbescheid und wusste: Ich muss was tun“, sagt sie. Wie das eben so ist „mit Frauen, die sich um Kinder kümmern“. Sie hat zwei Kinder großgezogen und schließlich das Geschäft übernommen, in dem sie vorher Verkäuferin war.

Sie machte es zu ihrem Laden. Mit einem besonderen Händchen für Wolle. Ihre gestrickten Kleidungsstücke trugen nicht nur Stil, sondern oft auch eine Geschichte. Wer ein „Lieblingsstück“ kaufte, kaufte Handwerk mit Herz. Die Kleidergrößen ihre KundInnen kennt sie auswendig. Viele ältere Kunden finden hier ihren Bademantel, ihre Wäsche und eine Expertin, wenn es um Wolle geht.

Engagement mit Nadel und Faden

Mechthild Rohlf war immer mehr als nur Ladeninhaberin. Sie war Netzwerkerin mit Nadel. Ihre Strickaktionen für den guten Zweck – Socken für Frühchen, Topflappen für Spenden an die Jugendarbeit – waren weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Jetzt beginnt der letzte Akt. Der Laden ist voll, die Ware aktuell. Schließlich hatte sie – wie im Textilhandel üblich – bereits im Sommer 2024 die Kollektionen für 2025 geordert. Mit Rabatten zwischen 30 und 50 Prozent möchte sie so viel wie möglich abgeben, bevor spätestens Ende Oktober die Tür zum letzten Mal ins Schloss fällt.

Und dann: Venedig

Was kommt danach? „Einmal nach Venedig“, sagt Mechthild Rohlf mit einem Lächeln, das zwischen Abschied und Vorfreude schwankt. „In der Bar sitzen, in der sich Hemingway die Kante gegeben hat.“ Man kann es ihr nicht verdenken. Wer 17 Jahre lang ein Geschäft mit so viel Herz geführt hat, darf sich auch mal einen doppelten gönnen – am liebsten in Italien.

Von Jana Göb